Spiralnebel
Du bekommst mich nicht ganz für dich allein! Ich bin sozial treu, aber nicht sexuell treu«, sagte er gleich am Anfang unserer frisch keimenden Beziehung. »Ist in Ordnung. Ich habe schon immer offene Beziehungen leben wollen«, war meine Antwort.
Von freier Liebe, Dreierbeziehungen, Dasein als Geliebte bis hin zum eifersüchtigen Alleinvertretungsanspruch ohne Gegenleistung hatte ich schon alles durch. »Die offene Ehe« von Nena und George O‚Neill war 1975 die Bibel für moderne Beziehungen und ist heute noch mein Ideal. Man kann nicht ewig nur in demselben Restaurant essen. Reiner Sex ist nicht Liebe. Die basiert auf anderen Werten. Und die Eifersucht? Doch, das Gefühl kannte ich schon. Nicht ständig das Leben bestimmend, natürlich so kleine Spitzen spürte ich von Zeit zu Zeit im Herzen. Aber eigentlich fühlte ich mich frei davon.
Und nun legte da jemand gleich am Anfang die Karten offen auf den Tisch. Es war ein befreiendes Gefühl. Ja, so kann ich mir das vorstellen. Ja, so will ich das auch, sagte ich in meiner Verliebtheit. Die O‚Neills – und ich – hatten die Rechnung allerdings ohne eine leidenschaftliche DS-Beziehung gemacht. Wir gingen bei den Überlegungen immer von »gleichberechtigten« Partnern aus. Ein Machtgefälle von oben nach unten war da nicht eingeplant.
Ich stellte ziemlich schnell fest: Eine Sklavin, die einen wichtigen Teil ihrer Rechte – insbesondere der sexuellen Selbstbestimmung – im Rahmen des Lebbaren an den Herrn abgibt, hat gar keine Chance auf eine freie, selbst gewählte Sexualität. Aber das merkte ich anfangs gar nicht. Ich wollte doch nur mit ihm zusammen sein, ihm gehorchen, seine streichelnde und strafende Hand und seine Macht über mich spüren. Von ihm geliebt werden über alles. Ich lebte für jeden Tag, den wir gemeinsam verbrachten. Ich hatte gar kein Verlangen nach anderen. Meine Geliebte ausgenommen. Ziemlich am Anfang der Beziehung zu meinem Herrn fanden meine Freundin und ich bei einer Session zu dritt heraus, dass wir uns liebten, schon lange Jahre von uns unbemerkt. Eingebunden in die Liebe zu meinem Herrn kann und darf ich diesen anderen Menschen von ganzem Herzen lieben. Und es ihm auch sagen.
Aber der Herr tat, was ein Herr tun muss, und er hatte es ja vorher ehrlich angekündigt: Er nahm sich, welche er wollte. Als Meister des Charmes, Flirter aller Klassen, flatterten – und flattern – ihm die Herzen reihenweise zu. Und da war er, der erste Kiesel: der Neid. Er bekommt, was ich nicht mehr darf, dachte ich. Es war doch so ganz anders geplant. (Mein Herr lässt anmerken, dass ich mir meine Ketten zum Teil selbst angelegt habe. Vorbehaltlich der Nachfrage bei ihm hätte ich mit anderen spielen dürfen.)
Langsam kam das Verhängnis näher. Wir spielten am Anfang oft zu dritt mit seiner Ex. Er liebt das Spiel mit der Eifersucht. Eine bekommt ihn und den Sex, die andere nur Missachtung und Schläge – und er weidet sich daran, wie sie vor Geilheit vergeht. Und dann dreht er den Spieß – vielleicht – um. Außerdem sucht er nicht nur Sex und Spiel, sondern er sammelt Seelen. Er will seine Gespielinnen für die Zeit der Session ganz, auch mit dem Innersten und gibt genauso viel von sich. Da kam es, das fast vergessene Gefühl – die Eifersucht. Ich merkte, dass ich damit nicht spielen konnte. Jeder Gedanke an solche Konstellationen ging mir bis ins Mark, und auch nur erzählte oder gemailte Phantasien ließen mich fast durchdrehen. Die Nebelschwaden der Eifersucht wurden dichter, die Umdrehungen immer schneller. Die Eifersucht nagte; in der Zeit, in der wir uns nicht sahen, fast permanent. Egal, ob wirklich etwas passierte oder sich alles nur als meine Gespinste herausstellte. Blutegeln gleich bohrte sie sich in die Hirnwindungen, raubte mir den Atem, ließ mein Herz fast die Brust sprengen. Drohende Blitze flitzten nachts durch die Telefonleitungen, Tränenströme brachten die Nordsee fast zum Überschwappen. Immer wieder, immer neu. Monate, mehr als ein Jahr lang. Mein gerade frisch aufgebautes Selbstwertgefühl konnte – mit einem Satz zuviel an eine hübsche Rothaarige gerichtet, einem Sekunden zu langen Lächeln zu einer anderen – zerplatzen wie ein zu stark aufgeblasener Ballon. Alle seine Liebesschwüre wurden nichtig in diesen Momenten, genau wie alle Beweise seiner Treue, Fürsorge und Hingabe an mich. Immer tiefer ging die Spirale bis zu einem sehr heiklen Punkt in unserer Beziehung. Unsere Partnerschaft stand nie völlig infrage, und die Eifersucht war auch nicht der einzige Grund für die Krise. Aber es musste etwas geschehen, um sie nicht weiter zu gefährden.
Und dazu kam das schlechte Gewissen. Wieso ist er nicht eifersüchtig auf meine Geliebte? Er lässt viel mehr zu, als ich ihm zugestehe. Woher kommen meine Verlassensängste und Unzulänglichkeitsgefühle? Als der Boden des Brunnens erreicht war, blieben uns für einige Tage nur das gemeinsame Schweigen, gleichzeitig Gefühllosigkeit und wortlose innigliche Liebe. Langsam erwachte erst das Fühlen und dann die Sprache wieder. Alle Erklärungsversuche über die Ursprünge meiner Eifersucht – oder ihres Fehlens bei ihm – haben wir erst einmal beiseite geschoben, um unsere Partnerschaft und bestehende Liebe zu bewahren. Eine schnelle Lösung musste her. Die Spurensuche wurde auf später vertagt.
Die wichtigste Erkenntnis für mich war, dass Eifersucht ihn mir nimmt und nicht hält. Und viel wichtiger, weil es sofort konkret umsetzbar war: Ich bin nicht eifersüchtig, wenn ich satt und befriedigt bin. Wenn ich das Gefühl habe, zumindest tageweise, autonom meine Freiheit und Sexualität leben zu können, Dates abzumachen, mir einen Sklaven zu suchen. (Ähnlich geht es meinem Herrn. Auch ein Herr braucht seine Freiheit, seine freien Tage, den Urlaub von der Herrschaft.) In kleinen Schritten proben wir den Ernstfall. Mein erstes Solo-Spiel, dann seins. Das erste Date zu Hause, ohne den anderen. Das erste getrennte Spielwochenende. Immer weiter kann ich loslassen. Und ohne Scheu mit ihm darüber sprechen, wenn es mir mit dem einen oder anderen Verhalten nicht gut geht. Je mehr ich freigeben kann, desto näher und intensiver wird unsere Beziehung.
Nun sind wir bei der Analyse des Geschehenen. Bei einigen meiner Eifersuchtsattacken gab es ähnliche Auslöser. Und mein Herr war bisweilen gänzlich unschuldig an diesen Momenten. Was mich so oft aus der Fassung brachte, war die Ignoranz manch anderer weiblicher Mitstreiter um seine Gunst. Kniete ich ganz ergeben vor ihm, die Augen gesenkt, geschah es nicht nur einmal, dass sich eine Hyäne gurrend an seinen Hals warf, mich – seine Partnerin und Geliebte – völlig ignorierend. Weder er noch ich hatten Strategien für solche Formen des Balzrituals entwickelt. Er, weil er derartige weibliche Rollkommandos nicht kannte und ihnen völlig ungeschützt ausgeliefert war (er kommt halt doch aus der Provinz). Ich, weil ich mir selbst so ein Verhalten einfach nicht vorstellen konnte. Sicher, auch Balzen um die Gunst eines verbandelten Partners ist erlaubt, gehört es doch zum Spiel. Aber gehört dazu nicht auch die Wahrung von Etikette und Anstand dem oder der Dritten gegenüber? Suche ich das Spiel mit einem Subjekt/Objekt meiner Begierde, so nehme ich auch Kontakt auf zum begleitenden Partner. Ist es genehm? Seid ihr offen für den Tausch? Oder verschenkt ihr euren Partner für ein Spiel? Ja, fein, dann werde ich direkter. Nein, dann entschuldigt die Störung. Und nehmt mein Interesse zur Kenntnis. Vielleicht gibt es ja später eine Möglichkeit.
Wenn die Eifersucht fehlt, ist Platz für die Liebe. Und nun kann ich es genießen, ihn im Spiel mit einer anderen zu beobachten. Ihn mit meinen Blicken anzufeuern, es ihr zu geben, im Guten wie im Bösen. So führen wir gemeinsam eine tief vertraute Paarbeziehung mit viel SM, am Wochenende oft einen viktorianischen Haushalt mit erotischem Dienstpersonal für uns beide und haben bisweilen getrennte Amouren.
Es ist wieder diese Spirale – aber dieses Mal geht sie aufwärts.