Rot sehen?
Das Thema dieser Ausgabe ist noch einmal Feminismus. Und ich bin eine Frau und mit dem »Vorweg« dran. Tja, eigentlich ganz gute Eingangsvoraussetzungen, um etwas aufs Papier zu bringen. Nun drehe ich aber schon seit zwei Wochen am Rad, und noch kein richtiger Gedanke ist greifbar. Wo liegen meine Schwierigkeiten, dieses Thema zu packen? Bin ich etwa gegen Feminismus? Was ist los mit mir, dass ich bei diesem Wort rot sehe?
Statt zu schreiben, lasse ich mich gedanklich treiben – in meine Kindheit, die Pubertät, das Studium in den 70ern und meine erste wilde SM-Zeit in den 80ern.
Und ich stelle in dieser Rückschau fest: Der Grund, dass ich mich jahrelang nicht mit diesem Thema auseinandersetzen musste, war wahrscheinlich – im Vergleich zu vielen anderen Frauen meines Alters – ein ziemlich emanzipiertes, freies und selbst bestimmtes Leben. Beruflich und ganz besonders sexuell. Und dann kamen sie: die »Emanzen«, wie ich sie damals nannte – heute würde ich sie als Radikal-Feministinnen bezeichnen. Sie versuchten, mir den Zahn zu ziehen. Meine Denkweise in Frage zu stellen.
Schon als Kind saß ich bei den Männern und lauschte ihren interessanten Gesprächen. Typische Mädchenfreundschaften hatte ich nicht. Beim Judo waren die Jungs einfach fitter im Kampf. Im Bio-Studium waren wir alle gleich – naja, die Frauen waren besser. Für mich gab es, bis ich Ende Zwanzig war, keine typische Rollenzuweisung – zumindest habe ich es so empfunden. Ich interessierte mich hauptsächlich für Naturwissenschaften und Technik, für Computer und Programmierung. Mein Wunsch, mich auf EDV umschulen zu lassen, wurde von meinen weiblichen grün-alternativen Mitparteilis als absolut unemanzipiert abgetan. Ich wolle einen »Männerberuf« – basta! Das ist keine Emanzipation.
Kleidung und Mode waren mir relativ egal. Ich trug, was mir gefiel, ging in ausrangierten Seemannsmänteln oder indischen Flatterkleidern ins Büro. Oder mit durchsichtiger Seidenbluse und Lederhose, wenn mir danach war. Und manchmal auch im Rock, wenn unbedingt nötig. Es war Arbeitskleidung – so wie ein Operateur Gummihandschuhe tragen muss. Wieder kamen sie an wie Hyänen: Ich würde doch die geforderten Rollenklischees erfüllen. Und überhaupt: Wie kann man als Sekretärin arbeiten, in so einem weiblichen Beruf? Nicht selbst entschieden hätte ich – basta! Emanzipationsziel verfehlt.
Aber ich fühlte mich emanzipiert, nahm mir mit ins Bett, wer mir gefiel, praktizierte wilden SM jeder Couleur. Immer auf der masochistischen, devoten Seite. Es ging mir gut dabei. Und nie stellte ich mein Tun in Frage. Beim Sex war ich gern oben und unten und vorn und hinten. Hauptsache viel und oft und gut. Mein damaliger Freund und Herr und ich hielten unsere SM-Beziehung und das, was wir dabei so machten, nicht direkt geheim. Auch nicht in unserem linken Umfeld. Aber das wurde stillschweigend überhört. Und wenn Sex dann doch einmal thematisiert wurde: wieder Fehlanzeige. Frauen – nicht viel anders als diejenigen, die Jahrhunderte vorher riefen: »Werft die Hexe ins Feuer!« – redeten auf mich ein: Deine masochistischen Phantasien und Wünsche sind nicht deine, sie sind dir von deinem Partner eingeredet worden, und du hast sie dir zu Eigen gemacht. Eine emanzipierte Frau kann nicht masochistisch-devot sein. Sie spielt nur die Rolle, in die die Männer sie zwängen – basta! Das ist keine frei gewählte Sexualität und keine Emanzipation.
Und da hörte ich auf, mich damit auseinanderzusetzen ... hörte auf, mit Frauen, die nicht SM machten, über Sexualität zu reden. Ich machte um alles, was irgendwo die Aufschriften »Frauen«, »Feminismus«, »Gleichberechtigung« trug, einen Bogen. Hatte Probleme mit feministischer Sprechweise, sagte provozierend »man meint« und nicht »frau meint« und benutzte das »große Binnen-I« absichtlich nicht.
Richtig aggressiv reagierte ich auf die PorNo-Kampagne Ende der 80er von Alice Schwarzer und Konsorten. Sie sagte: »Pornografie ist das Propagieren von Frauenhass und das Verknüpfen von Lust mit Erniedrigung und Gewalt.« Schon wieder war die Jagd auf das, was ich für mich, meine Sexualität und mein Leben ausgesucht hatte, eröffnet.
Es ist viel passiert seit den Suffragetten des 19. Jahrhunderts, die uns das Recht auf Bildung und Wahl erstritten haben, und den Frauen von 1968, die den Kampf für die Gleichberechtigung und unser Selbstbestimmungsrecht auf unseren Körper und unsere Sexualität aufnahmen. Die noch immer bestehende Ungerechtigkeit zwischen Frau und Mann in Politik, Ausbildung und Berufsleben, in der Gesellschaft und der Familie und wo auch immer im rechtlichen, sozialen und kulturellen Bereich leugne ich nicht. Vielen kämpferischen, emanzipierten Frauen verdanken wir die positiven Änderungen der letzten Jahrzehnte. Und es ist noch lange nicht alles im Lot.
Aber alle Welt wollte mir gleichzeitig einreden, wie Emanzipation zu sein hätte. Auf jeden Fall nicht so wie meine. Ich wollte mich nicht mit dem »Märchenprinzen« stundenlang auf der Bettkante über unseren Sex unterhalten, bevor er begonnen hatte. Ich wollte böse Piraten, die mich einfach nahmen. Ich fühlte mich umzingelt von FeministInnen – und nicht nur solchen in lila Latzhosen –, die mir meine bösen Prinzen zu Weicheiern verkochen wollten.
Zwei Jahrzehnte lang. Eigentlich bis vor kurzem.
Angeregt durch meinen neuen Partner und Herrn verließ ich meinen Elfenbeinturm. Über neue politische Aktivitäten lernte ich in den letzten zwei Jahren Frauen in der linken Politszene kennen, mit denen ich auch über Sexualität und SM reden kann. Manche sind selbst auf der Suche, den Widerspruch ihrer sexuellen Phantasien und ihrem linkspolitischen, gewaltfrei-herrschaftslosen Anspruch zu lösen. Andere sind offen und neugierig und suchen ohne Vorurteile das Gespräch, um zu verstehen, was SM ist. Ich treffe Frauen aus Gruppen wie S-Emma, die selbstbewusst und mit viel Lust und Spaß ihr SM mit Frauen leben – und trotzdem noch mit Männern reden. Und solche, die zwischen den Geschlechtern, dem Oben und dem Unten wandern und alles ausprobieren. Der Feminismus ist offener geworden, vielschichtiger und differenzierter – »queerer«, wie die neue Sprechweise es nennt. Und seit auch SM das Prädikat »queer« bekommen hat, können wir selbst in der Hafenstraße frei und ohne Vorbehalte über dieses Thema reden.
Das Ablegen meiner Scheuklappen im Umgang mit anderen Frauen eröffnet mir ein völlig neues Spektrum von Sichtweisen und Meinungen, schenkt mir ihr Wissen und Fühlen und ihre Geschichte.
Für mich ist es gerade ein glücklicher Moment, dies endlich erkannt zu haben.
Emanzipation hat sich nicht bereits im Zusprechen von Freiheitsrechten erfüllt, sondern wird es erst sein im bewussten Wahrnehmen und Gestalten derselben.