Das Sicherheitsbrevier aus Schlagzeilen 79


D/s – Dominanz/Submission, Teil II


Feste Partnerschaft

Ein merkwürdiger Bestandteil unserer Kultur ist, dass sie alles, was vom edlen Bild einer lebenslangen Ehe abweicht, als weniger wertvoll, weniger ideal und weniger befriedigend einstuft. Eingefleischte D/s-ler halten sich manchmal zugute, sie seien die einzigen im weit gefächerten Spektrum der BDSM-Szene, die wirklich liebten und wirkliche Partnerschaften lebten. Das geht ganz sicher zu weit, wenngleich es richtig ist, dass D/s von seinem Wesen her tatsächlich sehr viel mit Ausschließlichkeit zu tun hat, mit der Konzentration auf den Partner, der Herrscher/in oder Besitz sein kann.
Es mag sein, dass die meisten Beziehungen, die wesentlich von D/s geprägt sind, auch fast immer eine klassische (monogame?) Partnerschaft beinhalten. Es ist gewiss auch so, dass manche D/s-Beziehung, in der er oben und sie unten ist, dem etwas angestaubten, altertümlichen Beziehungsideal unserer Vorfahren ähnelt. Einige dieser Beziehungen ähneln gar – auf schon fast gruselige Art und Weise – sehr rigiden religiösen Vorstellungen von Ehe und »Partnerschaft«.
An dieser Stelle sei aber ganz deutlich gesagt: Wir alle sind frei, das Beziehungsmodell zu leben, das uns glücklich macht. Wer auch immer sich in eine dauerhafte hierarchisch geprägte Beziehung begibt, kann das hierzulande freiwillig tun und nicht, weil Konventionen, die Eltern oder der Glaube es vorgeben.
D/s-Beziehungen welcher Art auch immer sind weder besser noch schlechter als andere, die gelebte Liebe in diesen Beziehungen ist nicht »weniger wertvoll« und auch nicht »wertvoller« als andere, und sie ist schon gar nicht »krank«. Monogamie für beide Partner, Mehrfach-Beziehungen, Spiel-Beziehungen oder gelegentliches »Fremdspielen« sind von den Partnern frei wählbare Varianten. Wie viel Herrschaftsanspruch und Unterordnung einerseits und wie viel Gleichberechtigung es andererseits in einer Beziehung gibt, entscheidet niemand außer den Partnern selbst.
Neben der Möglichkeit, ganz im Rahmen vanilliger Konventionen eine »unauffällige« D/s-Beziehung zu leben, gibt es eine Vielzahl anderer Varianten: eine Vanilla-Beziehung führen und gleichzeitig in einer parallelen Spielbeziehung Herrscher oder Knecht zu sein, seinem Herrn liebevoll zu dienen, aber mit seiner Erlaubnis einen sub zu haben.

24/7, TPE und EPE

Schmerzlüsterne Menschen leben ihre Lust im genau abgezirkelten Bereich der Erotik aus.
Der zugefügte und »erlittene« Schmerz ist eine Zärtlichkeit, er macht geil und leidenschaftlich. Im D/s kann das ganz anders sein. Die gelebte Unterwerfung kann immer empfunden werden und sich auf alle Lebensbereiche ausdehnen. Schmerz kann eine wirkliche Strafe sein, und möglicherweise gar nur als solche ihren Platz im Bereich der Praktiken finden.
Miteinander D/s lebende Paare haben hier, was die zeitliche Dauer der D/s-Anteile in ihrem gemeinsamen Leben betrifft, die ganze Bandbreite der Möglichkeiten zur Verfügung. Alle Beziehungsmodelle, in denen es um das andauernde Ausleben der Hierarchie geht, fallen in den großen Bereich 24/7 (24 Stunden am Tag, sieben Tage der Woche, also immer).
Die extremste denkbare Form ist die des TPE (total power exchange, vollkommener Machtaustausch). Hier kontrolliert Top alles. Vom Gang zur Toilette bis zum Bankkonto, von der alltäglichen Kleidung bis zur Nahrungsaufnahme. Das kann als lustvoller Machtrausch und als totales Aufgehobensein empfunden werden, es kann aber auch für die Herrschaft sehr anstrengend und für sub überaus lästig werden. Da die meisten Menschen außerhalb ihrer Beziehung arbeiten müssen und man nicht wegen jedem Gang aufs Klo anrufen kann und auch knallharte Tops irgendwann müde sind, leben die meisten D/s-Beziehungen einen weniger anstrengenden, vom Regelwerk her abgespeckten Alltag. Manche Rituale schleifen sich mit der Zeit ab, werden vielleicht durch andere ersetzt: Die Vorschrift, jede Mahlzeit mit Top abzusprechen, weicht der Vorschrift, niemals die Beine übereinander zu schlagen. Und im Winter ersetzt man sinnvollerweise den obligatorischen unterwäschefrei getragenen Mini durch tief dekolletierte Oberteile, die immer von vorn zu öffnen sind.
TPE mag in vielen Teilen wenig alltagstauglich aussehen. Als Spiel für ein Wochenende zwischendurch kann es sehr reizvoll und eine überwältigende Erfahrung sein. Ein Urlaub vom Alltag, eine Befreiung von Rücksichten für Top und eine Freiheit von Entscheidungen für sub. Hemmungslos genossene, grenzenlose Unterwerfung ist eine Droge, die, sparsam angewandt, ihren Reiz nicht verliert und überraschende Gefühle freisetzt.
Wem das alles ein wenig viel ist, wer überhaupt findet, es ginge schließlich um Sex, nicht um Lebensführung, der wählt vielleicht eine eingeschränkte Ebene für seine dauerhafte Kontrolle. Im EPE (Erotic power exchange – erotischer Machtaustausch) geht es, wie der Name schon sagt, um die andauernde Kontrolle (allein) der Sexualität des sub. Das Paar mag im Alltag völlig gleichberechtigt sein, wenn es jedoch um Sex geht, wer wann mit wem was macht, dann entscheidet Top allein. Keuschheitsspiele haben dabei ebenso ihren Platz wie provozierte, exzessive lang andauernde Erregungszustände.
TPE ist dem am nächsten, was man als »echte Sklaverei« bezeichnen könnte. Es gibt tatsächlich Extremisten, die so weit gehen, dem Partner Vermögen, Besitz und darüber hinaus alle persönlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Im Falle einer Trennung nicht nur eine seelische, sondern auch eine ökonomische Katastrophe mit lebenslangen Folgen. Die explizite Forderung des toppenden Partners nach Geld und Besitz sollte sub in jedem Fall hellhörig machen. Ein liebender Mensch stellt derartige Forderungen nicht. Gespräche mit Freunden können hier zur Klarheit der eigenen Entscheidungsfindung beitragen. Das Gleiche gilt für Forderungen nach Schönheitsoperationen oder irreversiblen (operativen) Veränderungen »um für Top schöner zu sein«. Exzessive Mast- oder Abmagerungskuren – Ja, auch ersteres gibt es! – sind gesundheitsschädlich. Die vollkommene Abhängigkeit des Selbstwertgefühls des submissiven Partners von den Forderungen des Tops rechtfertigt den Gang zu einem BDSM-kundigen und -freundlichen Psychotherapeuten (Adressen findet man über www.maydaysm.de). Ein liebender und verantwortungsbewusster Top wird alles daran setzen, das Selbstbewusstsein des Partners zu festigen, und wird niemals etwas mit allem Druck all seiner Autorität verlangen, das sub, in welcher Weise auch immer, dauerhaft schadet.

Regeln und Rituale

Einen festen Platz in fast allen D/s-Beziehungen haben die Regeln, die Top sub auferlegt. Was auf den ersten Blick wie Zwang aussieht, wird auch von sub als spannend, aufregend und natürlich auch als erotisch empfunden. Viele solcher Regeln beziehen sich auf Rituale, die für beide gleichermaßen befriedigend sind: Sub darf sich erst setzen, wenn Top dazu auffordert, sub begrüßt Top mit einem Kuss auf die Hand oder auf den Fuß.
Herrscher und Herrscherinnen tun gut daran, solche Regeln so zu wählen, dass sie praxis- und alltagstauglich sind. Wie schön, wenn man außerdem liebe Angewohnheiten in das Spiel einbeziehen kann: die Tasse Tee im Bett, noch vor dem Aufstehen, oder die Fußmassage zum Einschlafen. Ein liebender sub wird es sich eine Ehre sein lassen, all das konzentriert und liebevoll täglich zu zelebrieren, ebenso wie ein liebender Top es nicht vergisst, sich auf die eine oder andere Weise für die Hingabe zu bedanken.
Diese kleinen Gesten und Regeln wirken auf beide wie Zärtlichkeiten: Sie steigern die Aufmerksamkeit für den Partner und seine Bedürfnisse – und das keinesfalls nur für den Top. Sie erinnern ständig an das besondere Verhältnis der beiden zueinander.
Auch in der Kleidung drückt sich das aus. Die Herrin verordnet sub, nur noch eine spezielle Art von Unterwäsche, Hemden oder Anzügen zu tragen – oder sogar gar keine. Ob sie dabei mehr Wert auf Ästhetik oder Praktisches legt, bleibt allein ihr überlassen. Der Herr erwartet von seiner Dienerin, dass sie sich stets weiblich und aufregend kleidet. Wie wundervoll, wenn im Büro das Telefon klingelt und der aufmerksame König von seiner Liebsten fordert, sie möge zur Toilette gehen, den Slip ausziehen und ihn in ihrer Handtasche nach Hause tragen. Sie kann die Minuten bis zum Feierabend zählen und sich seiner Aufmerksamkeit bei jedem Schritt bewusst sein, und bei jedem kühlen Luftzug, der ihr unter den Rock dringt.

Kennzeichen

Das Besitz- oder Herrschaftsverhältnis der Partner zeigt sich natürlich auch durch äußerlich sichtbare, meist mit Stolz getragene Zeichen. Ein Halsband weist eindeutig auf die sub-Rolle hin. Manche D/s-ler tragen dauernd formschöne Halsreifen, die nicht alleine abgelegt werden können, die aber für die Vanilla-Umwelt nicht als Halsband erkennbar sind. An diesen Halsbändern kann eine Plakette befestigt werden, die sub als Besitz seiner Herrschaft ausweist.
Das Zeichen des Halsbandes ist in der gesamten BDSM-Szene sehr weit verbreitet. Auch reine Masochisten tragen es gern auf Partys, um auf ihre grundsätzlich passive Rolle hinzuweisen. Auch Singles tragen es ganz selbstverständlich. Für D/s-ler hat es jedoch eine andere, tiefere Bedeutung. Der Moment, in dem man von seinem Herrn oder der Herrin ein Halsband »verliehen« bekommt, kann höchst romantisch sein. Es ist dann nichts weniger als eine Liebeserklärung der besonderen Art. Es zeigt anderen Menschen der Community: Dieser Mensch ist nicht mehr »frei«, und damit eben gerade nicht mehr »zu haben«. Die schlechte Angewohnheit mancher unkundiger Partybesucher, behalsbandete Frauen oder Männer quasi als frei verfügbares »Material« zu betrachten und entsprechend zu behandeln, ist sicher auf das Missverstehen dieses Kennzeichens zurückzuführen. Ein unhöflicher Ausrutscher, der sich vermeiden lässt, indem man einfach eine freundliche Frage formuliert.
Weniger offensichtlich, aber nichts desto trotz beliebt sind Tattoos an versteckten Stellen des Körpers, die auf eine bestimmte Person verweisen können. Die vermutlich martialischste Methode, den Besitz zu kennzeichnen, ist ein Branding, nicht zuletzt deswegen, weil es sub das meiste abverlangt. Da sowohl Tattoos als auch Brandings nur schwer wieder zu entfernen sind, sollte sich sub die Einwilligung zu dieser Kennzeichnung allerdings gut überlegen. Denn welche/r zukünftige Top sieht sich schon gern mit einem ganzen Wald von Namen und Zeichen konfrontiert, wenn sich sub das erste Mal vor ihm/ihr entblättert?

Aktiv oder passiv?

Die Unterscheidung von Top und bottom oder sub wird gern mit der Unterscheidung aktiv/passiv gleichgesetzt. Für rein schmerzerotische Spiele mag das zutreffen: Top ist immer der, der Schmerzen zufügt und damit aktiv ist, während sub die Schmerzen passiv »erleidet«. Im D/s ist das anders. Hier ist der dominante Partner zwar der Bestimmende, Richtungsweisende und Führende, jedoch nicht unbedingt immer auch der ausschließlich Aktive. Top kann von sub vielmehr auch Aktivität fordern, indem er sub eine für sich befriedigende oder nützliche Aufgabe auferlegt. Die jeweilige Aufgabe kann sub durchaus rege Tätigkeit und Leistung sowie ein gehöriges Maß an selbstständigem Denken abverlangen. Wie aktiv oder passiv sich der dienende Partner jeweils verhält, hängt ganz entscheidend von der Interessenslage des Tops ab. Das bekannteste, wenn auch vielleicht am wenigsten wirklich praktizierte Beispiel für einen »aktiven« sub ist die Rolle als Putzsklave. Am beliebtesten und naheliegendsten sind jedoch erotische Praktiken, die es Top erlauben, vorbehaltlos zu genießen, während sub sich aktiv und mit dem ganzen Augenmerk auf die Lust des Partners »abrackert«. 24/7-lebende Paare können ein submissives Verhalten, das mehr oder weniger dauerhafte (Aktivität erfordernde) Pflichten für sub beinhaltet, wählen. Macht sub für Top die Buchführung, kann das nicht darauf hinauslaufen, dass Top sub jede einzelne Buchung »befiehlt«.

»Erziehung«, Drill und Strafe

»Erziehung« ist ein in Foren und Chats oft missverstandenes Wort. Wenn man das Wort nicht völlig verwässern will, kann man es nicht so gebrauchen, dass jedes BDSM-Szenario ist eine »Erziehung« des submissiven Parts ist. Sinnvoll verstanden werden kann »Erziehung« vielmehr als ein lang andauerndes, in den Alltag hinübergezogenes D/s-Spiel, bei dem Top sub gewisse Verhaltensänderungen aufgibt (z. B. die eben besprochenen Regeln und Rituale betreffend), dessen Fortschritte überwacht und durch Belohnung und Bestrafung das Erreichen des Erziehungsziels fördert.
Viele Paare würden dem Spielcharakter der Erziehung innerhalb ihrer Beziehung empört widersprechen. Sie »spielen« nicht – es ist ihnen sehr ernst mit der immer währenden Hierarchie! Ein heikles, kleines Tabu innerhalb der Szene.
Die Erziehung des subs ist wohl einerseits eines der beliebtesten Einhand-Szenarios, die die einschlägige Literatur- und Fantasienwelt zu bieten hat. Die real stattfindende Erziehung eines erwachsenen Menschen durch einen anderen stößt andererseits bei vielen BDSMern auf Widerwillen und Abscheu. Es dürfte jedoch klar sein: Einseitig lässt sich so etwas niemals verwirklichen. Eine Beziehung, in der einer erzieht, ohne dass der andere erzogen werden möchte, ist dem Untergang geweiht! Also keine Aufregung! Was hier geschieht, ist – wie alles andere – einvernehmlich und sehr reizvoll: Der männliche sub kommt zu schnell? Da kann Abhilfe geschaffen werden! Lustvolle Belohnungen für Durchhalten und wirkliche Strafen für Versagen werden langfristig ihren Zweck nicht verfehlen. Subbie fällt einem jedes Mal ins Wort, wenn man den Satz noch nicht zu Ende gebracht hat? Ein Knebel für eine halbe Stunde, und sie wird schon merken, dass man Höflichkeit auch lernen kann.
Zu den Risiken und Nebenwirkungen von Erziehung gehören allerdings auch Strafen, mit denen sich Top ins eigene Fleisch schneidet, weil sie für ihn oder sie mit Mühsal und Arbeit verbunden sind (Merke: Ein eingekerkerter sub kann die Küche nicht putzen!), oder solche, die dann doch von sub ganz geil gefunden werden und insofern ihren Zweck verfehlen. Um derartige Ungereimtheiten zu vermeiden, kann man strafgierigen subs ohne weiteres ganz bewusst das eine oder andere Strafspiel zwischendurch gönnen. Wohltaten tun der Autorität keinen Abbruch.
Manche subs entwickeln ganz großartige Fähigkeiten im »Danebenbenehmen«, wenn es um das Einheimsen lustvoller Strafen geht. »Topping from the bottom« (Machtübernahme von unten) nennt das der Fachmann. Unangenehm für Tops, die sich auf diese Weise ganz unschön zu Dienern ihrer Untertanen gemacht sehen. Der daraus resultierende Machtkampf um die Lust ist nervig, für Top unter Umständen verletzend und für sub eine nur kurze, erschlichene Befriedigung. Im Ernstfall kann es beziehungszerstörend sein.
Der Ausweg aus dieser Art von Krise ist in jedem Fall das Gespräch, in dem man das tut, was »Lifestyle D/s-ler« (also die, die nicht spielen) ungern tun: Man stellt die partnerschaftliche Ebene wieder her und versucht ein Einvernehmen herbeizuführen, in dessen Rahmen sowohl die von sub heißgeliebten Strafspiele als auch die von Top für sein Wohlbefinden benötigte Hierarchie möglich sind. Es spricht für Top nichts dagegen, Respekt und Achtung deutlich einzufordern. Und sub sollte sich nicht scheuen, sich Strafspiele zu wünschen, vielleicht als Belohnung für gutes Benehmen.

Simone Maresch




Übersicht Sicherheitsbrevier    Übersicht Leseproben



Copyright © Charon-Verlag, Hamburg