D/s – Dominanz/Submission, Teil I
Eine kleine begriffliche Erläuterung: Wenn ich auf diesen Seiten von »SM« spreche, dann meine ich Praktiken, die vorwiegend auf die Lust am (Zufügen oder Erfahren) von körperlichem Schmerz gerichtet sind. Mit »D/s« (kurz für »Dominanz und Submission«) meine ich das erotische Spiel mit Hierarchie. Als Sammelbegriff für die Gesamtheit unserer Gelüste verwende ich den Begriff »BDSM« (Bondage/Discipline – Dominance/Submission – Sadism/Masochism). Für die sub- oder bottom-Seite eines D/s-Spiels verwende ich das Wort »submissiv«, was schlicht »unterwürfig« bedeutet. Es hat, im Unterschied zum gebräuchlicheren »devot«, eine Bedeutung bekommen, die sich allein auf solche unterwürfigen Verhaltensweisen bezieht, die bewusst, freiwillig und erotisch motiviert sind. Im Übrigen beziehe ich mich bei meinen Ausführungen weitestgehend auf die heterosexuelle SM-Szene. Der erste Teil des insgesamt 5-teiligen Sicherheitsbreviers ist sehr allgemein gehalten. In den folgenden Teilen werden einzelne Aspekte vertieft.
D/s – Was ist das überhaupt?
Magst du es, von einem als attraktiv empfundenen Menschen geführt und gefordert zu werden? Fällt dir entschiedenes, resolutes und bestimmendes Verhalten bei einem Partner nicht unangenehm auf, sondern wirkt vielmehr aufregend auf dich? Oder findest du es prickelnd, dich selbst so geben zu können? Kannst du schlichte Dinge wie Knien und Aufschauen aktiv und passiv ebenso genießen wie aufreizende Nacktheit? Kannst du dir vorstellen, deinem Partner ganz oder teilweise buchstäblich zu »gehören«? Oder würdest du selber diese Art von »Besitz« gern als Geschenk annehmen und nicht als Belastung empfinden? – Wenn du geneigt bist, eine oder mehrere dieser Fragen mit »ja« zu beantworten, erlebst du submissive bzw. dominante Gefühle.
D/s ist das erotische Spiel mit Hierarchie. Das Machtgefälle der Partner zueinander macht hier einen wesentlichen, wenn nicht den ganzen erotischen Reiz des Spiels aus. Im D/s sind die Partner gleichwertig, aber nicht (immer) gleichberechtigt. Der submissive Partner überlässt dem dominierenden während des gemeinsamen Spiels die mehr oder minder vollständige Entscheidungskompetenz und richtet sich nach dessen Wünschen und Anweisungen. Top befiehlt, sub gehorcht. So ist zumindest die grundlegende Idee.
Hinter der allgemeinen Formel von D/s als erotischem Spiel mit Hierarchie verbirgt sich ein buntes, unglaublich weites Feld möglicher Interpretationen. D/s-Spiele und –Beziehungen sind so individuell, so unendlich vielfältig, so situativ und wandelbar wie die Menschen, die diese Spiele spielen und diese Beziehungen leben: Es kann zentral um ein Erleben von Verantwortung und Hingabe gehen oder um Erlebnisse von Macht und Unterwerfung. Manche subs lieben es, sich schwach und schutzbedürftig fühlen zu können und von Top ganz fest gehalten und beschützt zu werden. Tops schenken ihrem Partner sehr viel Aufmerksamkeit, indem sie ihn liebevoll führen und leiten (rein erotisch oder auch in Dingen des täglichen Lebens). Manche subs finden tiefe Erfüllung darin, ihrem Top zu dienen, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen und ihm den Himmel auf Erden zu bereiten. Andere sind »Krawallsubs«: freche, schelmische Wesen, die es lieben, zu provozieren und ihre Grenzen auszutesten – um am Ende doch bezwungen zu werden. Entsprechende Tops lieben den spielerischen Kampf, möchten sub immer wieder niederringen und sich jedes Quäntchen Hingabe erst verdienen. Überall dort, wo die Partner sich in Rollen hineinbegeben, die dem einen der beiden Macht geben und sie dem anderen nehmen, ist D/s im Spiel.
Natürlich ist D/s ein freiwilliges erotisches Spiel. Wie tief auch immer subs Unterwerfung unter den Willen des Tops gehen mag und wie lange sie auch immer andauern mag: Es gibt immer auch die Ebene, auf der sich beide in gleicher Augenhöhe befinden. Sie ist die Basis für jedes lustvolle Spiel mit Hierarchien. Die Partner treten sich gleichberechtigt gegenüber und vereinbaren – aus Lust, nicht aus Zwang – ein hierarchisches Spiel. Für die Zeit des Spiels tritt die Ebene der Gleichberechtigung zugunsten der lustvollen Hierarchie in den Hintergrund.
Für viele dominant (bzw. submissiv) empfindende Menschen hat das Gefühl des »Besitzens« des Partners (bzw. das Gefühl, von ihm oder ihr »besessen« zu werden) eine zentrale Bedeutung. Hier hat die häufig zu findende Bezeichnung von sub als »Sklave« oder »Sklavin« ihren Ursprung. (Eine Bezeichnung übrigens, die sich genauso wenig verallgemeinern lässt wie fast alles andere im D/s). Manche dieser sehr tief D/s lebenden Menschen würden den Begriff »Spiel« für das, was sie tun, weit von sich weisen. Für sie ist D/s Alltag und selbstgewählte »Lebensform«. Wer in einer ständigen D/s-Beziehung lebt, weiß aber, dass es auch da Situationen geben kann, in denen es nötig ist, für eine Zeit aus dem »Spiel«, also der Hierarchie »aufzutauchen«, um gleichberechtigt eine schwierige Situation zu meistern, Probleme zu besprechen oder den Rahmen des »Spiels« zu verändern.
D/s, SM und Sex
Im Gegensatz zu Vanilla-Sex und in erster Linie schmerzorientierten SM-Spielen kann D/s in seinen wesentlichen Bestandteilen ohne Körperlichkeit auskommen. Der Kick ist im Kopf und entsteht in erster Linie aus dem Bewusstsein der Partner, mächtig oder ohnmächtig, verantwortlich oder hingebungsvoll zu sein.
Dieser prinzipielle Punkt ändert natürlich nichts daran, dass auch primär D/s-spielende Menschen körperlich empfinden und es in der Regel lieben, guten, ausschweifenden Sex zu haben. De facto sind die meisten von ihnen auch Schmerzerotiker: Auch sie lieben es, auf die eine oder andere Art, Schmerzen zuzufügen oder solche zu »erleiden«. Und natürlich weisen die allermeisten BDSM-Szenarien und -Beziehungen beide Aspekte (D/s und SM) auf. Doch wenn primär D/s-orientierte Paare Sex haben oder SM-Spiele spielen, dann geschieht dies oft im Rahmen des D/s-Verhältnisses. Aktivität und Passivität bekommen einen anderen Stellenwert. Bedingt durch die Hierarchie ändert sich der Blickwinkel der Partner auf die Lust.
Wenn Sex vom Machtgefälle einer D/s-Beziehung bestimmt ist, dann drückt sich das häufig so aus, dass es beide Partner kickt, wenn Top sub nach eigenem Gutdünken für die Befriedigung seiner eigenen Lust benutzt. Größtmöglicher Egoismus des Tops kann dabei für den submissiven Partner sehr lustvoll und befriedigend sein. Viele subs lieben es, ständig verfügbares Sexualobjekt zu sein. Viele Tops lieben das Bewusstsein, sub jederzeit nehmen zu können, genau so, wie sie es gerade wollen. Ganz besonders weibliche Tops lieben es, vollkommen über die Lust ihres subs zu bestimmen (und diese lieben es, ihre Lust der Partnerin zu schenken). Das Spektrum von Möglichkeiten, wie Sex durch eine D/s-Konstellation aufgeladen werden kann, ist fast unbegrenzt: Es reicht vom hingebungsvollen Lustdiener bis hin zu Vergewaltigungsszenarien und öffentlichen »Benutzungen«. Verspielte D/sler sind beim Sex manchmal Hure oder Lustbengel, Lehrerinnen, die Schüler verführen, ertappte Ladendiebinnen, die vom Kaufhausdetektiv vor die Entscheidung »Anzeige oder Sex« gestellt werden, arrogante kleine Zicken, die von einer Horde böser Kerle ins Gebüsch gezerrt und brutal genommen werden, oder Piraten, die sich an ihrer reizenden Beute vergehen (und diese vielleicht mit anderen Piraten teilen).
Auch SM kann im Kontext einer D/s-Beziehung vielfältige Interpretationen erfahren. Im D/s ist das Zufügen körperlicher Schmerzen oft ein Symbol für die Macht des dominierenden Parts. Top steht es frei, einen masochistischen sub durch lustvolles Pain-Play für dessen Hingabe und Dienstbarkeit belohnen.
Ein ganz besonderer Kick für viele ist es, körperlichen Schmerz als »Strafe« zuzufügen oder ihn als solche zu empfangen. Spielerische Züchtigungsszenarien mit und ohne vorheriger Strafpredigt sind bei D/slern außerordentlich beliebt. Manchmal phantasieren sie sich dabei in bestimmte Rollen hinein, die im Kopf einen Film und eine Etage tiefer die Körpersäfte laufen lassen: Lehrer und Schülerin, Gouvernante und frecher Bengel, Abt und Novizin, Herr und Dienstmädchen – all das gehört zu den gängigen Rollenstandards. Hierbei ist die »Strafe« natürlich in der Regel keine wirkliche Strafe, sondern nichts anderes als ein verspielter Rahmen für ein von beiden Seiten als lustvoll empfundenes flagellantisches (oder sonst wie SMiges) Erlebnis: Die vermeintliche Schülerin reckt ihren Hintern lustvoll dem Rohrstock des Pädagogen entgegen, um endlich die heißbegehrte Tracht Prügel zu erhalten, die sie durch schamloses Verhalten selbst provoziert hat, und der freche Bengel genießt es, wenn er von der Gouvernante in strengem Tonfall geheißen wird, sich über ihren Schoß zu beugen.
Es gibt auch D/s-Beziehungen, in denen körperliche Züchtigungen den Charakter einer wirklichen Strafe haben können. Solche Beziehungen sind anspruchsvoll und verlangen von beiden – Top und sub – viel Verantwortungssinn und Fingerspitzengefühl.
D/s-Spiele und -Beziehungen sind sehr, sehr individuell. Das kommt daher, dass der emotionale Raum, der durch das Spiel mit der Hierarchie eröffnet wird, so weitläufig und vielfältig ist und dass D/s oft sehr viel enger mit (z. T. sehr zentralen) Persönlichkeitsaspekten der Spielenden zusammenhängt als Vanilla-Sex oder SM. Gerade das macht die Sache für verspielte, offene D/sler bunt, abwechslungsreich und spannend: Es gibt ja so viel zu entdecken auf der großen Spielwiese D/s mit den vielen, ganz verschiedenen Menschen, die sich dort tummeln! Für viele, die sich dort umschauen, sind die eigenen Präferenzen situativ wandelbar und stark vom jeweiligen Gegenüber abhängig. In der Regel muss man einen Menschen erst kennen, um zu wissen, was man mit ihm erleben möchte. Manchmal macht erst die Bekanntschaft mit einem ganz bestimmten Menschen plötzlich eine bestimmte Spielart reizvoll, die bislang als völlig uninteressant oder gar als abstoßend empfunden wurde.
Wie intensiv, wie lange und mit wem
D/s-Spiele und Beziehungen können sich auf sehr verschiedene Bereiche des Lebens erstrecken und sehr unterschiedlich tief gehen. Manchen genügt es vollkommen, ihr Liebesspiel im heimischen Schlafzimmer durch ein lustvoll-zärtliches Spiel mit Hierarchien anzureichern: Einer der Partner gibt beim Sex den Ton an, der andere genießt es zu folgen. Anderen reicht das nicht, und sie möchten darüber hinaus vollkommen und dauerhaft erotisch oder auch bis in den Alltag hinein dominiert werden oder selber dominieren. Vielleicht geht es nur um bestimmte erotische Aspekte, die sich durch das ganze Leben ziehen, wie etwa das Tragen bestimmter oder gar keiner Kleidung (drunter) oder es geht um ein ständiges Masturbationsverbot, möglicherweise verbunden mit dem Tragen eines Keuschheitsgürtels. Es gibt unzählige Aspekte am Leben eines Menschen, die sich in das in das hierarchische Spiel einbeziehen lassen. Was jeweils als lustvoll empfunden wird und außerdem noch praktikabel ist, ist natürlich sehr verschieden.
Ebenso wie die Tiefe einer D/s-Beziehung in einem weiten Spektrum variieren kann, so auch ihre Dauer. D/s wird oft mit der Dauerhaftigkeit und Ausschließlichkeit einer 24/7-Beziehung (24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, also immer) gleichgesetzt. Das ist nicht ganz richtig. D/s kann ebenso wichtiger Bestandteil einer kurzen Session auf einer Party, einer lebendigen Spielbeziehung oder eines One-Night-Stands sein. Es kann nur zu bestimmten Zeiten seine Gültigkeit haben (am Wochenende, im Urlaub), oder auch immer.
Der Partner, mit dem zusammen man das hierarchische Spiel genießt, kann nichts weiter sein als ein reiner Spielpartner. Manche empfinden gerade das als besonders lustvoll: ihrem Spielpartner nur »in der Rolle« gegenüberzutreten. Es kann das Erleben besonders intensiv machen. Für andere ist gerade das Gegenteil wichtig: Sie möchten nur mit einem Partner spielen, den sie lieben und mit dem sie ihr Leben in allen Aspekten teilen. Die innige Vertrautheit ist ihnen wichtiger als die punktuelle Intensität. Oder sie erleben jene Intensität überhaupt erst mit einem geliebten, vertrauten Partner. All das kann aber auch parallel zueinander ausgelebt werden.
D/s versus Alltag
Nein, nicht jede Sekretärin und jeder Chauffeur ist submissiv, auch in ihrem Alltagsverhalten stille und zurückhaltende Menschen nicht. Und nein, nicht jeder Chef, jede Chefin und schon gar nicht jeder mit lauter Stimme und Hoppla-jetzt-komm-ich!-Gehabe ist dominant. Eine selbstbewusste Frau und Chefin kann eine hingebungsvolle Sklavin sein, ihr kompetenter Kollege ein begnadeter Nacktputzer. Die Serviererin im Restaurant kann sich als göttliche Topperette entpuppen und der Hilfskoch in der Küche nebenan als höllischer Herrscher.
Vergessen wir den ganzen Unsinn von »Naturdevotheit« und »Naturdominanz«! Auch Verunsicherung, Demütigung und Unterwerfung im Alltag sind für einen – in bestimmten Situationen mit einem bestimmten Partner – submissiv empfundenen Menschen in der Regel ebenso wenig geil wie der beim verschlafenen nächtlichen Weg zur Toilette angestoßene kleine Zeh für den – unter gänzlich anderen Umständen – schmerzgeilen Masochisten. Lassen wir also die Kirche im Dorf und D/s-Erotik dort, wo sie hingehört: in die Privatsphäre der Menschen, die sie praktizieren.
Bin ich D/s-ler? Und wenn ja, wie viel?
Wenige Menschen sind ausschließlich D/sler. Bei den meisten verwischen sich die Grenzen zwischen D/s-igen Gefühlen und der Lust an Schmerzerfahrungen oder dem Zufügen von Schmerzen, mit dem Wunsch nach Auslieferung und Gefangen-Sein. Es ist oft nicht leicht herauszufinden, wie genau man denn nun eigentlich »tickt«. Gerade bei der Suche nach dem passenden (Lebens-)Partner kann es da zu störenden Problemen kommen. Wo die Lust am Machtgefälle anfängt, wo sie aufhört, was sie mit unserer Schmerzlust macht und wie unser Kopfkino Einfluss auf unser Lustpotential nimmt – all das klärt man am besten auf einer kleinen Phantasiereise in den Märchenwald des eigenen Lustempfindens. Als Test dienen hier natürlich die Lieblingsphantasien der hoffentlich reichlich vorhandenen Lust mit uns selber. Das Kopfkino gibt die Rollen vor.
Auch wenn es naiv klingt: Die Gedanken und Träume sind frei, und wir können in ihnen sein, was auch immer wir wollen. Du kannst die absolutistische Herrscherin sein, die sich von ihren Rittern die Beute des letzten Kriegszuges zu Füßen legen lässt und sie dafür mit einer Nacht voller Leidenschaft belohnt. Du kannst zum harten Piratenkapitän werden, der genussvoll die Reihe der erbeuteten Jungfrauen abschreitet und sich das beste Stück für die Nacht aussucht. Du kannst die Jungfrau sein, die um die Gunst dieses Kapitäns bettelt, der sie dann doch erbarmungslos seiner Mannschaft ausliefert. Oder passt es dir besser, der unsterblich in seine Königin verliebte Diener zu sein, die dich mit ansehen lässt, wie sie mit einem Ritter das Bett teilt und für dich nichts als die Peitsche übrig hat, wenn du, ungeschickt wie du bist, beim Servieren ein Getränk verschüttet hast? Du darfst auch der Chef sein, der die Sekretärin auf dem Schreibtisch missbraucht. Oder die hübsche Nachbarin, die den pubertierenden Lümmel mit ein paar schallenden Ohrfeigen für seine lüsternen Blicke bestraft. Oder hast du schon einmal das Bedürfnis gehabt, dem autoritären Polizisten bei der Verkehrskontrolle mit deinen Papieren auch deinen Slip zu überreichen?
Na? War etwas für dich dabei?
Herzlichen Glückwunsch. Und: Willkommen im Club!