xplore04
xplore04 war ein voller Erfolg. Ich denke, es war eines der besten Projekte, die ich je konzipiert habe.
Nur durch die engagierte und kompetente Mitarbeit von Caprice Dilba sollte es auch Wirklichkeit werden. Es wurde viel mehr als nur ein Wochenende mit insgesamt 45 Workshops, Demonstrationen, Vorträgen und Performances.
xplore04 war ein Treffen jener, die nicht nur gerne spielen, sondern auch darüber nachdenken, was sie da tun. Nie habe ich so viele Menschen auf einem Haufen erlebt, die nicht nur mit ihrer Sexualität experimentieren, sondern auch in der Lage sind, über den Rand der eigenen Hose (oder des Korsetts) hinauszuschauen.
Nicht die Szenestars und die Diven, nicht die Modefetischisten und Pornografen, nicht die Gurus und ihre Mitläufer waren unserer Einladung gefolgt.
Es versammelten sich die Neugierigen, die Querdenker, die Um- und Einsteiger, die multiplen Persönlichkeiten, die polymorph Perversen und eben auch die scheinbar Normalen. Die Heterogenität der Teilnehmer erlaubte gerade auch Neueinsteigern das Kennenlernen unterschiedlichster Techniken und Richtungen; Hemmschwellen überflüssig.
Erst dieses Publikum gestaltete xplore04 zu einem Fest der intelligenten Sinnlichkeit.Es gab keine Spanner, keine Übergriffe, keine Peinlichkeiten – selbst die härtesten Praktiken wurden mit souveräner Gelassenheit präsentiert und goutiert.
Samstag 16:30 Uhr: Während in einem Saal fröhlich bis konzentriert Hinternversohlen geübt wird (»Fingerspitzen bitte zusammenhalten!«), liegen im Raum gegenüber dreißig Körper hingegeben am Boden, um sich vorsichtig und liebevoll mit Wachs beträufeln zu lassen. In der großen Halle wird unterdessen leidenschaftlich über das Für und Wider von Vibratoren diskutiert (»Bester Orgasmus meines Lebens!« – »So ein Plastikteil laß ich nicht an mich ran«). Im Hof findet sich die Domina im Gespräch mit der Paarberaterin, der Fisting-Spezialist diskutiert rege mit der Vulva-Priesterin. Nicht selten ergaben sich die spannendsten Diskussionen außerhalb der Workshops. Gespräche, die auch nach dem Wochenende und dem Austausch der E-Mail-Adressen weitergeführt wurden.
Das Konzept von xplore04 entstand in direkter Konsequenz aus meiner choreographischen Arbeit. Zum besseren Verständnis des Körpers als kommunikatives Medium genügt nicht nur die intellektuelle Betrachtung, es bedarf auch praktisch-sinnlicher Auseinandersetzung und künstlerischer Form.
Dieser Ansatz bestimmte die Auswahl der Dozenten. Sie waren nicht nur fachlich und pädagogisch versiert, sie waren meist auch begnadete Performer.
Die fröhliche Unverfrorenheit einer Tristan Taormino beim Workshop `Advanced Anal´, die – immer eine Hand im Hintern des Models – präzise und ausführlich Publikumsfragen beantwortete, ließ so manche eher spirituell angehauchte Seele sprachlos. Die komplexen Gedankengänge eines Rudolf zur Lippe, der mit ein paar Wäscheklammern und einfachen Dehnübungen Bezüge zwischen SM und Zen-Philosophie herzustellen wußte, stürzte so manchen SMer in Verwirrung, der nur gekommen war, um ein paar neue Tricks zu lernen.
Die einzigen Schrammen, die nicht gleich wieder verheilt sind, haben Caprice und ich uns geholt. Im Bemühen, uns von der Abzocke vieler SM- und Fetisch-Events abzuheben und das Angebot möglichst zugänglich zu halten, haben wir ein unschön schmerzhaftes Minus eingefahren: Die xplore05 wird also nicht wieder so billig (Drei-Tages-Pass: 50 Euro!!) zu haben sein.
Aber dieses Wochenende zur Kunst der Lust hat sich aus einem viel wichtigeren Grund gelohnt: Am praktischen Beispiel zu üben heißt eben immer auch, Worte finden zu müssen. Es bedeutet, den Praktiken und Erfahrungen der verschiedenen Subkulturen eine Sprache zu geben, die Gedanken und Erkenntnisse vieler forschender Individuen in einer Intellektualität zu bündeln, die Voraussetzung ist, um die soziale, künstlerische und politische Notwendigkeit einer radikalen sexuellen Kultur zu vermitteln. Macht, Ohnmacht, Gewalt, Aggression, Liebe, Vertrauen, Hingabe und die mannigfaltigen Verknüpfungen dieser Phänomene mit Sexualität gehen die gesamte Gesellschaft an. Der spielerische Umgang mit diesen Themen ist dabei eine Schlüsseltechnik: Lustvollerer Sex bedeutet Befreiung und Befried(ig)ung nicht nur auf persönlicher Ebene, er befreit und befriedet auch die Gesellschaft. xplore04 bewies nicht nur, daß und wie Sexualität gelehrt werden kann. Es machte auch an`schau´lich und be`greif´bar, wie sie von einer Kulturtechnik zu einer Kunstform entwickelt werden kann.
Daß inzwischen schon die Bild-Zeitung reagiert und die xplore04 als Verschwendung von Steuergeldern an Perverse angeprangert hat, kann ich in diesem Zusammenhang nur als Erfolg sehen: Die öffentliche Diskussion ist eröffnet!
Vom 23. bis zum 25.7. fand in Berlin ein außergewöhnliches Event statt:
C
aprice Dilba, Tanzfestival-Produzentin und Performerin, und Felix Ruckert, Choreograph einer eigenen Tanzkompanie, riefen zur xplore04 – einem szenen-übergreifenden Workshop-Event.
Angesprochen fühlten sich BDSMer, Tanzinteressierte, Yoga- und Tantra-Adepten, Zen-Meditierer und Menschen, deren sexuelle Horizonte geöffnet sind für Themen von `Analen Vergnügen für Anfänger und Fortgeschrittene´ bis hin zu `Sinnliches Spielzeug´.
Felix Ruckert, dessen Kompanie mit über 80 Aufführungen zu den aktivsten der Berliner Tanzszene gehört, erforscht in seinen Arbeiten Körpererfahrungen, Rituale, Sexualität und interessiert sich seit Jahren auch für BDSM.
14 Dozenten aus aller Welt, die mit dem Phänomen Sexualität spielen, arbeiten und forschen, gaben in 45 Workshops praktischen Einblick in Techniken und Rituale, die von spiritueller, ästhetischer oder einfach nur von `purer´ Lust erzählten. Jeder dieser ungewöhnlichen Menschen stellte in 3 Workshops seine Themen vor, die hier nur auszugsweise aufgeführt werden können:
Aus Deutschland kam Matthias T. J. Grimme, in dessen Workshop man seine Bondagekünste verfeinern konnte und der in einem weiteren Workshop zeigte, was Japan Bondage als Performance sein kann. Zusammen mit Andrea von den Schlagzeilen sprach er zum Thema `Grenzspiele´ u. a. über Sicherheit und Gefahren bei TPE (total power exchange). Birgit S. bot `Spiel mit den Sinnen´ und `Verhandeln einer Szene´ an. Das Berliner Diamond Lotus Institut ermöglichte praktische Übungen aus der alten indischen Liebestechnik Tantra, und Rudolf von Lippe übte mit `Zen – Durchlässigkeit, Hingabe und Schmerz´ an einem direkteren Zugang zu SM ohne jegliches Rollenspiel.
delta RA'i richtete seine Workshops an Flag- und Spanking-Interessierte, um sie in die hohe Kunst des erotischen Schlagens einzuführen. `Partner Yoga´ und `Das lustvolle Becken´ wurde von Ilka Stoedtner vertreten und `Sinnliches Spielzeug´ von Sabine Hofmann. Der `Atemkontrolle´ von Katrin Passig sowie dem `Spiel mit Nadeln´ von Paula Rosengarten waren Workshops gewidmet, in denen Sicherheit eine wichtige Rolle eingeräumt war.
Felix Ruckert selbst ermöglichte in Gruppen wie `Haut´, `Berührung´ und `Urbane Rituale´ die szenische Realisierung aus Teilen seiner Tanzprojekte, z. B. das Ein- und Nachfühlen in Dom/Sub-Situationen. Hagen aus Berlin ließ mit `Wachs´ und `Sinnesentzug´ experimentieren.
Aus der Schweiz kam Maggie Tapert, die sich der sakralen Sexualität mit `Das heilige Fest´ zuwandte. Tristan Taormino – Buchautorin aus den USA – führte `G-Punkt´ und `Anale Vergnügen´ vor, Janet Hardy (USA) zeigte Möglichkeiten auf, über spezielle Atem- und PC-Muskel-Techniken Tantra mit BDSM zu verbinden.
Obwohl das Konzept der drei Tage lautete, allen Teilnehmern praktische Erfahrungen zu ermöglichen, waren auch einige Vorträge angeboten: In `Ethical Sluthood´ versuchte Janet Hardy Alternativen zur Monogamie aufzuzeigen. Daß die SM- zur gay-/lesbischen Szene keine Parallelwelt bilden muß, erzählte Paula Rosengarten – und dies wurde gleich eindrucksvoll durch die Teilnehmer/-innen der xplore04 bestätigt.
Den ersten Höhepunkt des Festivals bildeten am Samstagabend Live-Performances von Felix Ruckert, delta RA´i, Zamil und Caprice Dilba: Wer sich SM in einer Tanzperformance bisher nicht vorstellen konnte, staunte begeistert: Caprice Dilba, Performerin und Co-Produzentin des Festivals, `mußte´ unter ihrer Augenmaske der Führung dreier männlicher Tänzer `blind´ vertrauen: Klassische Tanzformen wie schnelles Rennen, Hebefiguren, Geworfen-aufgefangen-und-getragen-werden, Pas de deus/trois/quatre wechselten mit Momenten heftigen Peitschens und großer, liebevoller Zärtlichkeit.
Im nachfolgenden Freestyle-Live-Bondage wurden parallel mehrere Modelle blitzschnell in alle möglichen Hängebondages gefesselt. Jeder der vier Meister ihres Faches hatte seinen eigenen Stil beim Fesseln. Nicole, Begleiterin und Bondage-Modell von Grimme, zeigte eine Selbstfesselung und konnte sich dabei sogar selber aufhängen. Der große Applaus für ihre Kunst war wohl verdient; man darf sie getrost als 5. Meisterin des Abends sehen.
Am Sonntagabend fand im Berliner Darkside Club eine Abschluß-Party statt, wo soeben Erlerntes in die Form von Sessions gebracht werden konnte.
Die Einmaligkeit dieses Crossover-Events zog verständlicherweise Teilnehmer von weither an, so z. B. aus Italien und der Schweiz. Die Atmosphäre in den schönen Loft-Hinterhöfen war von Toleranz und großem gegenseitigen Interesse geprägt. Ein Café und eine Bar boten Treffpunkte zum Austausch, und in der Nähe gab es genügend Eß-Lokale sowie Unterkünfte. Meine Befürchtung, daß ein so großes Angebot recht stressig werden könnte, hat sich nicht bestätigt: Die Workshops wurden immer entspannt und nicht selten heiter gestaltet.
Ein wenig schade fand ich, daß man sich zwischen den parallel laufenden Workshops entscheiden mußte. Eventuell könnte man überlegen, ob sie nicht zeitversetzt wiederholt werden könnten. Andererseits ist es auch nicht schlecht, wenn man Prioritäten setzen muß, statt unbedingt alles mitnehmen zu wollen.
Zweifellos ist das Event, das sich sympathisch und individuell direkt an die verschiedenen nicht-kommerziellen Subkulturen wandte, ein Gewinn für alle, die Synergien lieben und nach weiterführenden Impulsen suchen. Sicher war es auch finanziell schwierig, ein Ereignis auf die Beine zu stellen, welches mal nicht vom Sponsoring großer Sexbiz-Sellern umstellt wurde. Nicht zuletzt auch darum ist es sehr zu wünschen, daß xplore04 den Anfang einer Reihe bildet, die nächstes Jahr ihre erste Fortsetzung findet.