Forum aus Schlagzeilen 80


Langweilige Partys? Mehr Regeln! – Eine Antwort an Apollonia


Apollonia hat in ihrer Rubrik in Schlagzeilen Heft 76 zu Recht das Fehlen von Spiel, Spaß und Fantasie auf unseren Feten, Partys und Gelagen beklagt: So viel von dem, das wir als Gruppe tun, sagt sie, wirke noch eingebettet in die Regeln des Alltags. Damit hat sie den Sklaven voll auf die Backen getroffen: Wir haben zwar als Subkultur Konventionen entwickelt, um die Regeln des Zwischenmenschlichen unserer Lust anzupassen, und spielten als Top und Bottom damit lustvoll wie nie miteinander. Aber auf der Ebene der Gruppe sind die gesellschaftlichen Konventionen noch voll in Kraft. Dass Apollonia wie viele andere diesen Zustand als immer unbefriedigender empfindet und sich Gedanken macht, dass es doch noch mehr geben muss, ist ebenfalls völlig richtig: Die Entwicklung der Subkultur ist an diesem Punkt zum Stillstand gekommen.

Die Lösung des Problems besteht allerdings nicht in einem weiteren Klagelied über das Böse im Bürgerlichen und einem neuen Aufruf nach dem Motto »Don't dream it, be it!«. Verschwindend wenige Menschen sind in der Lage, in so einer Situation von sich aus die bisherigen Regeln abzulegen. Stattdessen sollten wir als ganze Subkultur den nächsten Schritt gehen – bewusst und gezielt – und beginnen, auch für die Ebene der Gruppe Konventionen zu entwickeln, wenn die der Gesellschaft uns im Spiel nicht befriedigen. Wo wir bislang nur Rahmen geschaffen haben, um unsere SM-Fantasien als Top-Bottom-Paar ausleben zu können, sollten wir nun Rahmen für Partys schaffen, die unsere Fantasien als Gruppe befreit. Neue Regeln braucht das Land!

Wie wäre es mit einer Fete, bei der – um ganz harmlos anzufangen – die Regel gilt, dass alle Bottoms nackt sein müssen. Oder ein einfaches Abendessen unter Freunden, bei dem die Bottoms dazu noch die Hände auf dem Rücken gefesselt haben müssen und bei dem es daher nicht ganz so einfach zugeht – eine schöne, große, geplante Schweinerei, wenn auch vermutlich immer noch nicht ganz auf dem Niveau des von Apollonia geforderten klingonischen Saufgelages. Mit etwas mehr Mut werden zumindest unter guten Bekannten weitergehende Regeln möglich, die näher an die eigentlichen Fantasien herankommen: Treffen, bei dem jeder Top von jedem Bottom verlangen kann, dass er oder sie als Zeichen seines Respekts ihm oder ihr die Schuhe küsst, demütigende Posen einnehmen muss oder – was sich viele Leute seit jeher von diesem Autor wünschen – nur sprechen darf, wenn er angesprochen wird. Bondage- und Flag-Liebhaber werden schnell ihre eigenen Vorstellungen von einer idealen Fete entwickeln.

Bis sich die heutigen Mechanismen und Absprachen für Spiele herauskristallisierten, gab es in der frühen Subkultur eine Phase des Experimentierens. Diesen Geist brauchen wir wieder, aber jetzt auf der Ebene von Gruppen – die Bereitschaft, sich für einen Abend auf Regeln einzulassen, sich versuchsweise mit Freunden neuen, selbst geschaffenen Konventionen zu unterwerfen und das ganze als eigene Form des Spaßes zu sehen. »Du, ich war am Wochenende auf einer Fete, da mussten die Bottoms ... und die Tops hatten alle ...« wäre eine Satzkonstruktion, die gut zu einer Mischung aus Faszination, nachwirkender Geilheit und vielleicht auch Unglauben über das selbst Durchlebte passen würde. Es wäre auf jeden Fall ein angenehmer Ersatz für die jetzige Langeweile.

Wie gehen wir an so etwas heran? Wie wir das auf der zwischenmenschlichen Ebene auch tun, mit der Grundlage alles Sadomasochistischen, mit der Kommunikation. Man setzt sich mit Freunden hin und lässt, zunächst nur bildlich gesprochen, etwa genauso die Hosen herunter, wie man es vor seinem Partner tut: Was würde man gerne auf einer Party ausprobieren? Was wären Gruppenregeln, die einen reizen würden? Wie weit wäre man bereit, sich in einem solchen Rahmen auch den anderen Tops zu öffnen? Peinlich ist das am Anfang sicher, genauso wie es peinlich war, das mit dem Pudding und der Gummi-Ente seinem Partner zu beichten. Aber nur so kann sich ein Konsens bilden, ein erster neuer Rahmen für ein Spiel als Gruppe, nicht nur als Spiele einzelner Paare, die nur irgendwie den gleichen Raum benutzen. Für das folgende Treffen gelten die Regeln dann für alle. Damit wird auch ein anderes chronisches Problem unserer Zeit erschlagen, das Apollonia angesprochen hat: Einfach konsumieren kann da keiner mehr.

Wie bei den normalen Spielen lohnt es sich, dem ganzen einen Feedback-Mechanismus zu verpassen, um aus den Erfahrungen zu lernen und das nächste Treffen noch besser machen zu können. Regeln besprechen, Regeln aufschreiben, Party feiern, von Party erholen, Erfahrungen besprechen, Regeln anpassen, nächste Party feiern – das ist der Ablauf. Dass man zehn Durchläufe später vermutlich wo ganz anders herausgekommen dürfte, als man es erwartet hätte, ist Teil des Spaßes – auch diese Entdeckungsreisen kennen wir von unseren Partnerschaften.

Vielleicht ist das nichts für ein offenes Spieletreffen, sicher ist das nichts für eine Großfete, aber selbst in diesen Fällen könnte man über eigene Räume nachdenken, in denen gewisse Regeln verbindlich gelten. Regelmäßige Treffs können als »Zirkel« mit mehr oder weniger festen Mitgliedern und festen Regeln abgehalten werden. Das zieht natürlich neue Schwierigkeiten nach sich – Wer entscheidet über neue Teilnehmer? Wie sollen neue Teilnehmer am besten in eine solche Gruppe eingeführt werden? Wie offen, wie groß kann so was sein? – aber mit etwas Versuch und Irrtum werden sich Lösungen herauskristallisieren. Wichtig ist es erst einmal, den Versuch zu wagen.

Im Laufe der Zeit dürften sich verschiedene feste Vereinbarungen entwickeln, erprobte Rahmen für Bondage-Zirkel, für FemDom-Partys, für Flag-Feten, die sich so weit bewährt haben, dass sie auch anderen Grüppchen als Grundlage für eigene Experimente dienen können. Auch das Prinzip ist nicht neu: Safeword, SSC und die Trennung von Spiel und Alltag sind Konstrukte, die jedem Neuling beim Eintritt in die Subkultur als Ausgangsbasis für eigene Beziehungen an die Hand gegeben werden. Solche Konventionen in der Subkultur sind, aller libertinen Grundsatzkritik zum Trotz, erst einmal eine gute Sache, denn sie ermöglichen es selbst Fremden, ohne große Diskussion über das Wie und Warum und Bis wohin schnell zum Spiel zu kommen – angepasst werden sie ohnehin von jedem Einzelnen entsprechend seinen Vorlieben und Erfahrungen. Solange klar ist, dass alle Regeln – egal auf welcher Ebene – nicht Selbstzweck sind, sondern ein Werkzeug zum Lustgewinn, dürfte es keine Probleme geben.

Aber leider überfordert diese Unterscheidung zwischen Selbstzweck und Werkzeug viele bereits bei den bestehenden Vereinbarungen der Subkultur. Daher wird es auch auf der Ebene der Gruppen Probleme geben. Das Wort »Regel« allein hat einen schlechten Ruf in der Subkultur, eine Einstellung, die ich auch bei Apollonia zu entdecken glaube. Aus der Sicht von Außenstehenden ist das ironisch: Schließlich besteht SM auf den ersten Blick für den Bottom aus Befehlen, denen gehorcht werden muss, auch wenn man den Geschmack von Schuhleder nicht mag; Einschränkungen, denen man sich fügen muss, auch wenn sich jede Faser des Körpers danach sehnt, endlich abzuspritzen; Zwänge, die zu erdulden sind, auch wenn die Kiefermuskeln wegen Überdehnung schreien und der Sabberfluss schon den Bauchnabel füllt. Dass dem Bottom gerade durch die Annahme dieser Regeln eine Freiheit, ein Sich-Fallenlassen und am Ende eine Ekstase zuteil wird, die sonst kaum erreichbar ist, ist eine Erkenntnis, die einen Kern unserer Leidenschaft berührt. Wir sollten diese Erkenntnis nutzen und sie auf die Gruppe anwenden.

Vermutlich werden es die Tops sein, die sich am meisten sträuben. Meist gibt in solchen Diskussionen von ihrer Seite einen mehr oder weniger pathetischen Hinweis auf Kreativität, Kunst oder Handwerk, die angeblich keine Einschränkungen dulden. Dass da eigentlich etwas anderes dahinter stehen muss, sieht man daran, dass gerade die Kunst von selbstauferlegten Einschränkungen lebt und Teile der Subkultur bereits jetzt in freiwilligen Grenzen aufgeht. Ein Gedicht ist zunächst nichts anderes als Prosa im Korsett; die extremen Formen wie japanische Haikus bekommen in diesem Bild gleich noch Handschellen, Ballettstiefel, eine Halskrause und einen Ballonknebel verpasst und müssen mit verbundenen Augen und einem Glas Reiswein auf dem Kopf über einen weißen Teppich tippeln, während der Dichter ihre Oberschenkel Vokal für Vokal mit dem Rohrstock bearbeitet. Viele Fotografen in den Schlagzeilen verzichten bewusst auf die Möglichkeiten der Farbfotografie und Japan-Bondage kann wegen der sehr gezielten Wahl der Mittel geradezu ritualisiert wirken. Ungeiler als »amerikanisches Bondage« wird er dadurch aber nicht, eher im Gegenteil. Bewusst eingegangene, nachvollziehbar begründete Einschränkungen beleben auch SM, wenn man bereit ist, sich auf sie einzulassen.



Mit deren Hilfe erreichen wir früher oder später hoffentlich zumindest zeitweilig das Ziel: »Die Möglichkeit, das Leben, die Leidenschaft, die Schmerzen, die Lust, die Unterwerfung, die Demut, das Leiden und die Liebe im ganz wirklich empfundenen Spiel handgreiflich und lebendig zu machen«, wie Apollonia es formuliert hat. Es gibt keinen Grund, es nicht zu versuchen: Die Möglichkeiten unseres Paradoxons »freiwillige Unfreiheit befreit« haben wir noch lange nicht ausgeschöpft. Es ist Zeit für den nächsten Schritt.

5. September 2004

Wolf Deunan




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