Forum aus Schlagzeilen 79


Ich ficke gerne


Zugegeben: Wer im heutigen Informations-Dschungel noch Aufmerksamkeit erregen will, muss schon zu deftigen Ausdrücken greifen. Sex sells; leider nur nicht sich selbst. Die Überschrift ist von der Tabakindustrie ausgeliehen und nur das Verb wurde ausgewechselt. Die Zigarettenmafia scheut ja nicht nur vor suchtmachenden Stoffen zurück, sondern pumpt auch Unmengen von Geld in ihre Public-relations-Arbeit. Die Alkoholwerbung nimmt zu, obwohl klar ist, dass beide Branchen an unseren Volkskrankheiten mit Schuld sind. Andere Werbetexter wollen uns weismachen, dass ein kleiner Becher Trinkjogurt auf das Immunsystem die gleiche stimulierende und abhärtende Wirkung hat wie eine Wechseldusche. Dabei beweisen Forschungsergebnisse eindeutig, dass ein aktives Sexleben dazu beiträgt, unsere Abwehrkräfte aufzumöbeln. Was gibt es also im Herbst Schöneres, als sich mit Bettakrobatik Erkältungen vom Hals zu halten?

Ein guter Fick zur rechten Zeit wappnet einen nicht nur gegen die fiesen Plagegeister in der grauen Jahreszeit. Nein, Gerburg Jahnke (vom Kabarettisten-Duo »Missfits«) empfahl unlängst in einem Fernsehinterview eine ganz neues Mittel gegen Beschwerden in den Wechseljahren: »Der Mann sollte in dieser Zeit seine Frau einfach mal mehr poppen.« Mit Sicherheit hat guter Sex auch noch weitere Vorteile, aber für all diese wird nicht geworben. Lässt das etwa den bissigen Umkehrschluss zu, dass alles in der Werbung gesundheitlicher Quatsch, ja im oben genannten Fall sogar schädlich ist? Hat euch schon mal der Arzt »Sex« oder gar »SM« als vorbeugendes Mittel gegen leidige Erkältungen, hitzige Vulkanausbrüche im Klimakterium oder gar als Allheilmittel für eine glückliche Partnerschaft verschrieben? »So, vögeln Sie dreimal täglich, morgens, mittags und abends nach dem Essen, und wenn es in zwei Tagen nicht besser ist, kommen Sie einfach noch mal vorbei.« Nein, da ist weiterhin von Vitamin C und Sauna, von Hormonbehandlung und asiatischen Kräutern, von Paartherapie und midlife crisis die Rede.

Man stelle sich vor, eine Untersuchung würde beweisen, dass das Hochpeitschen des Adrenalinspiegels gepaart mit dem Auffangen den wöchentlichen Saunagang ersetzen könnte. (Das wäre insofern praktisch, weil man nach einer Session oft ein paar Tage warten muss, bis man wieder in die Sauna kann). Eine demographische Erhebung unter den SMern (ermittelt durch einen Fragebogen in den SZ) bringt es vielleicht ganz schnell zu Tage: Sex mit dem Katalysator SM ist DAS Aspirin gegen viele Alltags-Wehwehchen. Das wär´s doch.

Dabei ist das gar nicht so weit hergeholt. Heißes Wachs stimuliert schon beim Auftropfen und das anschließende Abrubbeln von der Haut trägt mit Sicherheit zur Abhärtung bei. Vom Peeling-Effekt wollen wir gar nicht reden. Suspension-Bondage statt komplizierter Gerätschaften, um die Mechanik des Körpers mal »auszuhängen«. Dafür zahlst du beim Chiropraktiker ein Vermögen, und bei SM kriegst du´s gratis. Und irgendeinen Grund muss es doch haben, dass man sich in Sauna und Dampfbad mit Ästen gegenseitig auf den Rücken schlägt. Ja, es soll sogar schon vorgekommen sein, dass sich hinter vorgehaltener Hand Freunde gestehen, den eigenen Urin getrunken zu haben, um sich gegen Viren und Bakterien zu rüsten. Und die Nebeneffekte erst. Der Reizstrom erzeugt ganz automatisch einen Waschbrettbauch, ohne dass ihr einen Finger rühren müsst. Schwitzkuren unter Latexklamotten oder Folienbondage unterstützen bestens das Entschlacken. Latexsaunasack: Allein der Name schreit doch schon nach Gesundheit pur.

Also sind die schnöden Kürzel GV und SM, ja sogar NS keine Sexpraxis allein mehr, sondern ein gesundheitsförderndes Mittel. Statt wirkungsloser Medi-Nait-Tropfen flimmern Dildos, Klammern und Peitschen über den Bildschirm. »Dies ist ein Heilmittel. Lassen Sie sich von einem Arzt oder Apotheker beraten.« Letztere müssten natürlich erst mal diverse Kurse bzw. work shops besuchen und das Sicherheitshandbuch auswendig lernen. Seine schwarzen Toys kauft man dann ganz selbstverständlich (und nicht so schüchtern wie heute) in der Apotheke oder im Sanitätshaus, wie Saunaaufguss oder Massageöl. Die VHS bietet in jeder Stadt Bondagekurse an, und interessierte Gesundheitsapostel müssten dazu nicht mehr durch die halbe Republik reisen. Bei Fit for Fun oder mens health würden die SM-Praktiken nicht mehr in der Rubrik Erotik mit dem effektheischenden Titel »Heiße Fesselspiele im Schlafzimmer« (gleich hinter »Hundert todsichere Anmachsprüche für Singles«) erscheinen, sondern im Gesundheitsteil unter der Überschrift »Neueste Forschungsergebnisse«. Angefressene ebayler könnten endlich ihre Auktionen ohne diese hanebüchenen Hinweise »Dieser Pranger ist kein Sexhilfsmittel und entspricht den ebay-Richtlinien. Nur zur Deko oder für Theateraufführungen.« einstellen, und zwar in der Rubrik »Gesundheit und Beauty« und nicht mehr so verschämt bei den Tabletops.

Die Schlagzeilen wären kein reines SM-Magazin mehr, sondern zusätzlich ein Gesundheitsfachblatt, das in jeder Arztpraxis ausliegen würde. Die boomenden Wellnesshotels würden noch höhere Steigerungsraten einfahren, wenn sie neben Ayurveda auch spezielle Dungeons anböten. (Die bestehenden Massagezimmer lassen sich problemlos zu Klinikräumen umfunktionieren.) Bei Aldi, Lidl und Penny hängen Handschellen, Knebel und Seile gleich neben den Erkältungsbädern. Das Andreaskreuz, der Pranger, der Strafbock und andere Möbel sind wechselnd im Angebot und endlich bezahlbar, und die Marquise- oder Demask-DVDs gäbs zum Discounterpreis ohne Perversenaufschlag. Bei ARD-Ratgeber Gesundheit diskutieren SM-Stammtischler über die neuesten heilsamen Erfahrungen spezieller Fesselungstechniken. Der Eintritt zu SM-Partys wird von der AOK bezuschusst, genau so wie das 10er Abo zum wöchentlichen Besuch des Dominastudios. Bei Wüstenrot gibt eine spezielle Eigenheimförderzulage für Dungeons, Klinikräume oder Rubber Rooms, die anschließend steuerlich absetzbar sind wie ein Arbeitszimmer.

Volksweisheiten müssten umgeschrieben werden. »A fuck a day keeps the doctor away« oder »Ein Schlag in Ehren, kann niemand verwehren« oder »Morgenstund hat ...« na gut, auf NS steht nicht jeder, und schon gar nicht so früh morgens.

Sex und SM wären nicht nur gesellschaftsfähig, sondern auch noch vorbeugend und heilsam. Aber dafür kann man ja keine Werbung machen, oder?

Heerscharen von Männern und Frauen wären dankbar, wenn ihre Partner im Bett den gleichen Ergeiz, dieselbe Ausdauer und Beharrlichkeit zeigen würden wie im Fitnessstudio. Würden wir genauso oft poppen, wie wir functional food vertilgen (linksdrehend, versteht sich), und wir wären Gesundheits-Nation Nr.1. Selbst die Tatsache, dass Sex erstaunlich viele Kalorien verbrennt, bringt niemand auf die Idee, damit sein Gewicht zu kontrollieren. Abnehmen: eigentlich der Garant, den größten Schund an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Nein, lieber ächzen wir über Waldpfade oder durch den Asphalt-Dschungel, getreu dem Motto »Was gesund ist, darf nicht schmecken und schon gar keinen Spaß machen«. Der gesundheitsbewusste Mensch will leiden, will die Folgen der Überwindung des inneren Schweinehundes noch tagelang spüren, will jammern und will stöhnen. Die Parallelen sind eindeutig, womit wir wieder beim Thema wären. Jeder Sportler ist ein kleiner Maso, genauso wie der Saunafreak, der die kuschelige Wärme verlässt, um ins eiskalte Wasser zu springen, oder der Kräuter-Öko, der sich diese ekelerregenden Salbei-Weissdorn-Tees reinzieht.

Wir ficken jedenfalls gerne und wünschen als saunierende-Öko-Sportler allen Lesern eine schnupfen-, husten- und halswehfreie Zeit.

Margit + Volker



Was wirklich zählt


Sex mit Liebe oder ohne? Ich will niemandem auf den Schlips oder auf sonst etwas treten, wenn er oder sie Lust um der Lust willen propagiert. Sofern es einvernehmlich abgeht, ist dagegen nichts einzuwenden. Allerdings denke ich immer noch hartnäckig, dass es einen Unterschied macht, ob Liebe im Spiel ist oder nicht.

Das Gros in Kunst und Literatur spiegelt uns ebenso wie in den Medien die einfach gestrickte, moralisch einwandfreie Liebeswelt vor, in der »er« sich in »sie« verliebt oder andersherum, sie kriegen sich, landen im Bett oder sonst wo und tun, was wir uns jetzt alle selbst denken können ... rainbows, butterflies, Elfengesänge, Traumschiff, RTL II, BILDzeitung ˆ Aussage des Klischees: Und sie lebten und liebten sich glücklich bis an ihr Lebensende. Sogar im modernen Gewand, wenn Ehe und Trauschein wegfallen, ist das so. Aber ist das so einfach?

Natürlich nicht; wir wissen es besser. In unseren Gefilden ist es wichtig, ob auch wirklich einer der beiden devot und der andere dominant ist, oder wenigstens einer der beiden zum Switchen bereit. Ganz schwierig wird es für die Verfechter immer kleinerer Schubladen, wenn es relevant ist, ob der jeweilige Part auch bzw. nur den Hang zu DS, SM oder BD teilt.

Ich hab mir oft überlegt, ob bei mir etwas nicht stimmt, wenn ich mich auch auf Kuschelsex einlassen kann. Dabei sage ich deutlich: »Einlassen«. Denn es ist für mich wie Zucker oder Milch im Kaffee. Ohne Kaffee wollte ich nicht frühstücken. Aber nur mit Milch und Zucker wäre ich unglücklich. Aber auf den Kaffee verzichten? Nur mit Schwarz wäre ich aber auch unglücklich. Ich habe entdeckt, dass es mir einfach Spaß macht, mit meiner Gegenüber genau das zu machen ˆ nicht, was mir gefällt, sondern das, was ihr gefällt. Es macht mir Lust, bei ihr Lust auszulösen. Weil ich sie mag. Genau das ist der Kick beim Sex für mich: Ich will etwas machen, das ihr Lust bereitet.

Sex ist ein Geben und Nehmen; Beziehung, Liebe auch. Ich vermute, dass viele Leute, die dem romantischen Ideal der Vanilla-Liebe anhängen, sich der Illusion hingeben, dass sie geben, wenn sie in Wirklichkeit nehmen. Kennt nicht jeder diese alberne Kundenbefragung vor Weihnachten, wenn im Kaufhaus gefragt wird, was er oder sie seiner Liebsten schenkt, und sagen dann nicht die Hälfte der Männer (leicht verschämt und einige gaaanz moderne, emanzipierte Frauen auch) »Dessous«? Wer hat denn den Spaß, die Lust beim Angucken? Schenken sie dann nach dem Geschmack der oder des jeweiligen Geliebten oder nach dem eigenen? Was sind die wirklichen Motive? Die eigene Lust oder die des Beschenkten?

Ebenso vermutlich im Bett. Wie viele Leute denken wohl, es handelt sich um ein Geben und Nehmen, wobei tatsächlich (mag man den Klischees glauben) er seine Lust an ihr stillt (im Klartext: sich einen abwichst unter Benutzung eines Menschen). Ein ziemlich uneinvernehmliches Objekt-Sein, finde ich. Schon bei den Kuschelsexern möglich, sicher aber auch in unseren Kreisen der Fall ...

Mir war es immer wichtig, zu wissen, wann ich gebe und wann ich nehme. Klar, schön ist es, wenn beides zusammenkommt. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Hoffnung auf Verschmelzung in Reinkultur aber um eine Illusion.

Ziemlich erhellend war für mich in diesem Zusammenhang die (absolut empfehlenswerte) gekürzte Fassung einer Dissertation, die ich auf der Homepage von SMash fand (www.sm-ffm.de/schwarzessay-sexmacht.htm).

Sinngemäß wird dort erläutert, dass das Spezielle beim SM die Asynchronität der Empfindungen ist. Entgegen der Utopie, dass gemeinschaftlicher Sex sich (z.B. im gemeinschaftlichen Orgasmus) bei den Agierenden gleich anfühlt, sticht beim SM die Tatsache hervor, dass die Gefühle von Aktivem Part gegenüber dem Passivem (also die am einen Ende der Peitsche gegenüber denen am Anderen) absolut unterschiedlich sind. Schmerz geben ist nun mal etwas anderes als Schmerzen zu empfangen.

Ich hüte mich nun vor der Behauptung, dass SMer gegenüber unseren Mitbürgern ohne diese Vorlieben die absoluten Gutmenschen und kraft ihrer neigungsbedingten Begabung zu höheren Weihen berufen sind. Allerdings könnte die Erkenntnis, dass beim Geben und Nehmen in der Sexualität ein ewiger Unterschied bestehen bleibt, hier eine Chance bedeuten; deckt er doch die Utopie der gleichen Empfindungen der Handelnden auf. Sofern ich feststelle, dass das, was ich fühle, sich immer von dem unterscheiden wird, was mein Gegenüber empfindet, hat dies für den mit klarem Menschenverstand begabten Menschen einige Konsequenzen in einer Liebesbeziehung.

Wenn Liebe bedeutet, dass ich das Beste (Wachstum, Entfaltung) für den anderen will, werde ich mich zuerst an seinen Bedürfnissen orientieren. Sex und Liebe findet sich dann zueinander, wenn das, was ich mit dem oder der anderen mache, mir allein schon aus dem Grund Lust bereitet, weil es ihr Lust bereitet ˆ wenn ich also Genuss daran habe, ihr Lust zu bereiten. Und das unterscheidet dann eben ausgelebten Sex in einer Liebesbeziehung zu dem in einer Spiel- oder professionellen Beziehung, die letztendlich Dienstleistung bleibt. Flexibilität ist hier also nötig und die Fähigkeit, sich auf den anderen einstellen zu können; viel mehr als die Frage, ob die jeweiligen Vorlieben komplementär zueinander passen. Vielleicht liegt in letzterem sogar eine Gefahr für die Beziehung, weil es den Blick verschleiert auf das, was wirklich zählt: die Beziehung, die Liebe.

Joe Wagner




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